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Ihr Lieben!
Für die Festlegung auf ein Thema ist es wichtig, eine griffige Forschungsfrage zu haben. Und dazu möchte ich ein paar Takte sagen:
Eine Forschungsfrage ist nicht einfach eine Frage, die man beantwortet haben möchte. Klingt seltsam, ist aber so. Sonst würde ich sofort die Forschungsfrage stellen: ›Wie kann man die Welt
gestalten, sodass alle nachhaltig in Wohlstand leben, glücklich und
zufrieden sind und niemand sich übervorteilt fühlt?‹, sie beantworten und einen Friedensnobelpreis einkassieren. Läuft nicht.
Damit eine Frage Forschungsfrage sein kann und für die Arbeit geeignet ist, muss sie einige Kriterien erfüllen:
Sie muss unbeantwortet sein. Ob sie das ist, sagt Euch die Literaturrecherche. (Die obige ist es.)
Beachtet bitte dabei den Unterschied zwischen ›die Antwort ist nicht bekannt‹ und ›die Antwort ist mir nicht bekannt‹, denn der zweite Fall führt nicht zu einer Forschungsarbeit!
Sie muss beantwortbar sein. (Das ist die obige nicht.)
Und zwar, ganz wichtig: von mir, der Person, die sie stellt. Es hat keinen Sinn und führt nur zu Frustration und letztendlich einer oberflächlichen und für Euch selbst unbefriedigenden Arbeit, wenn man sich ›überhebt‹. Das zu vermeiden ist eigentlich das Wichtigste! Ihr solltet Euch die Beantwortung also zutrauen – was andererseits nicht heißen soll und streng genommen gar nicht darf, dass Ihr die Antwort schon kennt! Die Arbeit darf und soll ergebnisoffen sein, sonst wäre es ja keine Forschung.
›Sich zutrauen‹ sollte man dabei etwas systematisieren: erstellt eine Liste der Fertigkeiten, die Ihr glaubt zu benötigen und schätzt ein, wie gut ihr jeweils darin seid und ob und wie Ihr Lücken schließen könnt! Das darf ruhig in einem ›Forschungstagebuch‹ festgehalten werden.
Die Frage sollte spezifisch sein. Beispielsweise ist die Frage: ›Wie wirkt das Futter auf das Gefieder von Vögeln?‹, völlig unspezifisch (und daher eigentlich auch nicht beantwortbar). Im Gegensatz dazu ist: ›Wie wirkt der Eisengehalt des Futters auf die Intensität der Gefiederfärbung beim Tukan?‹, sehr spezifisch und beantwortbar.
Daran erkennen wir ein Prinzip, das sich bei naturwissenschafltichen Forschungsfragen bewährt: es hilft, wenn die Frage zwei Größen in Relation stellt, denn das ist beantwortbar und überprüfbar (und darum geht es letztendlich, und das ist, was von Euch erwartet wird: eine überprüfte Antwort). Hier: Metallgehalt der Körndeln - Gefiederfärbung des Tukan. Nebenbei erleichtert es auch die Formulierung einer Hypothese. Nur so viel vorab: eine gute Frage liefert beinahe gratis die Hypothese!
Schreckt also nicht davor zurück, spezifische Forschungsfragen zu stellen, auch wenn sie Euch ›kleinteilig‹ vorkommen! Mein eigener Betreuer – und das öffnete mir richtiggehend die Augen – erklärte uns das so, dass große Würfe in der Forschung durch Einzelarbeiten extrem selten sind; wir dürfen also nicht erwarten einen zu landen! Ich kenne das mulmige Gefühl, das man hat, wenn man auf einmal ›forschen‹ soll, und mir hat sein Bild sehr geholfen: wir brechen jetzt nicht zu einer groß angelegten Expedition in unbekannte Gefilde auf, sondern wir suchen die Grenze des bekannten Terrains mit einer Lupe in der Hand nach etwas Neuem ab.
Diesen Text habe ich Dr. Inge Schuster vorgelegt, ihres Zeichens Chemikerin und jahrzehntelang in der Grundlagen- und angewandten Forschung (zuletzt als Leiterin eines Forschungslabors von Novartis) tätig, und um ihre Kommentare gebeten. Ihre Anmerkungen möchte ich Euch nicht vorenthalten:
Lieber Matthias,
eine sehr, sehr gute Idee die Frage nach der Frage zu stellen! (Und das bezieht sich nicht nur auf die Forschung.)
Aus meiner Erfahrung mit eigenen Projekten und mit gut 20 Studenten würde ich noch die klassischen Subfragen Quis? Quid? Ubi? Quibus auxiliis? Cur? Quomodo? Quando? [Wer? Was? Wo? Womit? Warum? Wie? Wann?; Anm.] hinzufügen, die für die Machbarkeit und Erfolgsaussichten des Forschungsthemas ausschlaggebend sind.
Das "Quid” [unsere Forschungsfrage; Anm.] steht natürlich am Anfang. Nicht minder wichtig sind aber die Abschätzung der benötigten Kapazitäten und logistische Fragen:
Kann ich das Projekt allein durchziehen oder brauche ich "quem” [jemanden; Anm.]?
Habe ich die entsprechenden räumlichen Voraussetzungen und sind die dazu benötigten Unterlagen, Hilfsmittel, Geräte… bereits vorhanden/oder erst zu organisieren/überhaupt finanzierbar?
Die Frage nach dem "cur” [warum; Anm.] halte ich für besonders wichtig. Wenn ich konkrete Zielvorstellungen habe – auch, wenn sich diese später als falsch erweisen sollten - und von deren Wert überzeugt bin, gehe ich mit viel mehr Interesse an die Sache heran.
Auch das "wie” ist enorm wichtig. Von: kann ich bereits alle benötigten Techniken, was muss ich noch lernen? bis: wie protokolliere ich, wie analysiere ich, etc. [Anm.: Das meinte ich oben mit der ›Liste der Fähigkeiten.‹]
Schließlich das häufig übersehene "quando” - das Erstellen eines realistischen Zeitplans. Hier beginnen dann die Verzögerungen eine Rolle zu spielen, die ein zu wenig berücksichtigtes "wie”, "wo” und "mit welchen Mitteln” nach sich ziehen. Beispielweise ist eine "biologische” Masterthesis meistens nicht in einem halben Jahr zu schaffen, wenn wesentliche Techniken an neuen Geräten erst erarbeitet werden müssen.
Junge Leute, die noch nie eine längere Aufgabe "durchgezogen” haben, wollen häufig sofort anfangen – irgendwie, meinen sie, wird es dann schon weitergehen. Wenn das Thema sich dann als zu groß, zu komplex herausstellt, geht die anfängliche Begeisterung in Frustration über, in die Angst nicht zeitgerecht fertig zu werden, keine zufriedenstellende Ergebnisse zu produzieren (manchmal auch in das Zurechtbiegen von Ergebnissen).
Na ja, das sind meine persönlichen, wahrscheinlich auch vom Projektmanagement geprägten Ansichten – vielleicht habe ich aber meine Leute auch zu viel "bemuttert”.
Liebe Grüße,
Inge
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